Ist die westliche Philosophie zum Untergang bestimmt?

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Um die letzte Bestimmung (auch „Bestimmtheit“) der Philosophie zu verstehen, bevor wir uns fragen, ob die Philosophie noch eine Ziel, ein Geschick haben kann – nicht als Universitätsdisziplin, sondern als anthropologische Haltung, als Weise des In-der-Welt-Seins –, müssen wir uns zunächst ihrem Ursprung zuwenden.

Die Philosophie, schrieb Emanuele Severino, „ist groß geboren“: das heißt, sie enthält in ihrem Aufsteigen und Erblühen den ganzen Horizont der wesentlichen Fragen: Was ist der Ursprung der Dinge (Arché)? Was ist ihre gemeinsame Grundlage (Hypo-keimenon)? Welche Beziehung besteht in den Dingen zwischen Form (Eidos), Materie (Hyle) und ihrer Verbindung (Syn-olon)? Steht das Individuelle vor dem Kategorischen (Kathólou) oder ist es umgekehrt? Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Sein und zu sein: das heißt, das Nichtsein ist nicht und kann niemals notwendigerweise zum Sein werden. Ist daher die Vielfalt der Dinge, die uns wunderbar erscheint, eine sinnliche Täuschung (Parmenides)? Oder vielleicht erscheint im Gegenteil das Nichtsein in irgendeiner Weise als ein Unterscheidungsverhältnis zwischen Entitäten (Platon)? Wenn alles zum Sein wird und dann zum Nichtsein wird, ist die Grundlage (Ousia) der Oszillation (Epamphoterizein) zwischen Sein und Nichtsein des Wesens ungeschaffen und ungeboren, ewig und unbegrenzt (A-peiron)?

Nun, dieser Horizont des Wesensfragens entsteht nicht mit der griechischen Philosophie, sondern erscheint mit dem Erscheinen der Menschheit selbst, so sehr, dass der Mensch, das Dasein, als jenes Wesen definiert werden kann, in dessen Wesen um das eigene Sein geht (Heidegger), jenes Sein, das die Frage nach seinem eigenen ontischen Grund ist, also die Frage nach dem Ursprung des Selbstes, nach der Herkunft und damit schon und unmittelbar nach seiner eigenen Bestimmung, als Wesen hat.

Es ist nämlich das Sterben, das das Wesen des Menschen charakterisiert und seine Seinsweise als Antizipation, seine Stellung als Erwartungshorizont bestimmt.

In jedem Moment seines Lebens wissend, dass er zum äußersten Nichts bestimmt ist, fragt sich der Mensch nach dem Sinn seiner eigenen Existenz, fragt sich bereits nach der Entstehung des Selbst, des Selbst und damit aller Dinge.

Diese wesentliche Fragestellung, das heißt diese Frage nach dem Wesen, findet im mythischen Denken eine erste Antwort: Kosmogonien haben nämlich genau diesen Zweck, die Welt, den Ursprung der Dinge und alles, die Stellung des Menschen darin zu erklären den Kosmos, der uns versichert, dass alles einen Zweck, einen Sinn hat.

Aber wenn der Horizont des Wesensfragens beim Menschen auftaucht und der Mythos schon jede Antwort auf die Wesensrastlosigkeit dieses Fragens nach dem Wesen der eigenen Person und des Ganzen gibt, was hat die Philosophie noch dazu zu sagen?

Die Antworto ist: die Wahrheit, oder die Möglichkeit, „mit der Wahrheit Schmerz und Tod zu vertreiben“ (Äschylus), also die Gewissheit, dass die Erklärung der Welt notwendig und nicht zufällig, widerspruchsfrei und nicht-glaubwürdig ist.

Die Philosophie ist also eine Methode, sie ist jene Erkenntnis, die ihre Behauptungen auf der Unmöglichkeit des logischen Widerspruches gründet, oder auf jener „ursprüngliche und anapodictische Struktur der Erkenntnis“ (Severino), für die jeder Widerspruch zur Wahrheit als unmittelbarer Selbstwiderspruch erscheint (der élenchos von Aristoteles Satz vom Widerspruch).

Philosophisches Wissen ist daher Wissenschaft, Episteme, das heißt, was durch die Meinungen von Göttern und Menschen bewegt wird und nicht bewegt werden kann. Es ist die Wahrheit aus dem Herzen, die nicht zittert (Parmenides), der Bug des Bootes (Stama), der über (epi-) der wellenförmigen Fluktuation der Doxa steht.

Aber auch dieses Wissen schwindet, wenn der Mensch im Selbstbewusstsein des Daseins in der faustischen Welt entdeckt, dass sich der Satz vom Widerspruch, an dem er sich hält und an den er seine Wahrheit gebunden hat, als ein Herr erweist, der seine Freiheit und seinen Willen bindet und verknechtet: „„Wenn es Götter gäbe, wie hielte ich’s aus, kein Gott zu sein!?“ (Nietzsche). Wenn das Ewige ist, prä-entifiziere diese Dimension das Nichts, ohne das das Neue, das Geschaffene nicht entstehen kann, „Also gibt es keine Götter.“.

Hier wird das Wesen der Dinge und vor allem des Menschen (Sein) die Aufgabe (Sollen), jedes ewige Sein (das Sein), jede Grundlage, jede Richtung, jeden Zweck, jeden Sinn zu zerstören. „Was bedeutet Nihilismus? – Daß die obersten Werthe sich entwerthen. Es fehlt das Ziel. Es fehlt die Antwort auf das »Wozu?«“ (Nietzsche)

Daher erscheint die Philosophie als Disziplin und vor allem als Mittel, nach der Wahrheit der Dinge zu suchen, für den Untergang im Zusammenhang mit dem Untergangsschicksal der Episteme (das heißt, die Wahrheit als das nicht Widersprüchliches) bestimmt; diese Bestimmung ist dasselbe Schicksal des Zeitalters des Ewigen – für uns das Zweite Zeitalter – durch die Erfüllung des faustischen Zeitalters vollendet. Diese Untergangsbestimmung der europäischen Philosophie ist dieselbe Untergangsbestimmung die die gesamten europäischen Zivilisation erwartet, und diese ist auch die Bestimmung des Unterganges des Westens, der genau in seiem Triumph oder in seinem zur Welt werden fallen wird.

Wodurch wird Wahrheit als Episteme ersetzt? Durch moderne wissenschaftliche Erkenntnisse, probabilistisch und hypothetisch, auf der Effizienz des Machens angewandt. Hier verlässt sich der Mensch nicht mehr auf den Mythos (Gott), auch nicht auf Wahrheit und Notwendigkeit, sondern widmet sich eher der Technik als einem Dämon, der jedes Problem mit größerer Kraft lösen kann, je mehr sich der Mensch von den Fesseln der Tradition, der Wahrheit, des Ewigen, des Absoluten, der Vertikalität befreien kann, indem er sich als Alleinherrscher der Dinge und des Ganzen zum Absolutum wird. Alle zeitgenössische Philosophie ist Zerstörung (Nietzsche), Schwächung und Horizontalität (Deleuze), Dekonstruktion (Derrida), Verfälschung (Popper), Krankheit (Freud: wenn mit dem transzendentalen Idealismus die Welt des Unbewußten der Herrschaft des Subjekts unterworfen ist – da das Nicht-Ich für die äußere Welt ebenso wie für die Irrationalität oder Instinkte des Menschen steht -, entdeckt sich die Persönlichkeit im Rahmen der Psychoanalyse konstitutiv in den strukturellen Wahnsinn eines beispiellosen und immer wieder zerstörerischen Gleichgewichts antagonister Kräfte geworfen).

Das Denken ist inzwischen nichts anderes als das Ergebnis elektrischer Impulse und für das Gehirn wie die Verdauung für den Magen (Neurowissenschaft).

Kann die Philosophie wieder jenes Wissen sein, das in der Lage ist, dem wesentlichen und ursprünglichen Fragen des Menschen authentisch zu entsprechen? Nein, notwendigerweise, und gerade weil der Mensch selbst untergehen muss.

Alberto Iannelli

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